
Im Rehabilitationszentrum für behinderte Kinder in Thuy An bei Hanoi. Foto aus dem Buch (© Roland Schmid).
Zum "arte"-Dok über Agent Orange
Im arte-Dokumentarfilm »Agent Orange: Die Opfer klagen an« ...
... schildern zwei Frauen die Folgen des Einsatzes des Herbizids im Vietnamkrieg und in den USA. Tran To Nga war als Jugendliche im Widerstand auf der Nachschubtrasse Ho-Chi-Minh-Pfad unterwegs, kam als junge Frau direkt mit dem »Agent Orange«-Regen in Berührung. Er fiel auf ihre Haut, sie aß Gemüse, das dem Giftregen ausgesetzt war. Ihr erstes Baby litt unter fürchterlichen Krankheiten, später auch eine weitere Tochter. Heute klagt sie in Frankreich gegen die Hersteller des Herbizids. Ihre Rechtsanwälte nennen es die letzte Chance, die Firmen noch zur Verantwortung zu ziehen für ein bewusst begangenes Verbrechen.
Die zweite Frau ist die US-Amerikanerin Carol Van Strum. Sie berichtet, wie »Agent Orange« in den 70er und 80er Jahren, also nach dem Einsatz im Vietnamkrieg, in den Five-Rivers-Gebieten (Oregon) aus der Luft versprüht wurde, wie Vögel und andere Tiere verendeten. Auch hier stieg die Zahl der Fehlgeburten und der Neugeborenen mit Missbildungen. Strum wurde zur Umweltschützerin, gründete eine Bürgerinitiative und schrieb das Buch »A Bitter Fog: Herbicides and Human Rights«. Mit dem Kampf gegen die von der Forstverwaltung betriebenen Sprühaktionen machte sie sich schlimme Feinde. Diese zündeten Strums Haus an; ihre Kinder verbrannten. Strum machte weiter. Nach einem langen Rechtsstreit wurde das Sprühen von Pestiziden auf Bundeswälder verboten. Sprühmittel mit den Grundstoffen von »Agent Orange« aber kommen über privaten Wäldern bis heute zum Einsatz.
Der Film von Alan Adelson und Kate Taverna bietet Informationen, die bislang in Berichten über »Agent Orange« eher nicht im Vordergrund standen. John F. Kennedy zum Beispiel war begeistert, diese Massenvernichtungswaffe im Kampf gegen den Kommunismus einzusetzen.
Klar wird, dass es sich um chemische Kriegführung handelte und die US-Regierung von den katastrophalen Folgen für Mensch und Umwelt wusste. Nach dem Krieg blieben 7,5 Millionen Liter Herbizide übrig. 5 Millionen wurden durch die US-Regierung vernichtet, Hunderttausende Liter in Deponien vergraben. Sie vergiften die Umwelt bis heute.
Der 55 Minuten lange Film beeindruckt durch eine emotionale, aber dennoch sachliche Darstellung. Er nennt die Verantwortlichen für den Gifteinsatz beim Namen. Sein Hauptaugenmerk aber gilt den Betroffenen. Die Bilder der Opfer aus der dritten und vierten Generation sind teilweise nur schwer zu ertragen. Ermutigend ist das Engagement von Tran To Nga und Carol Van Strum. Beide erklären im Abspann: »Wir tun das nicht für uns, sondern für diejenigen, die es nicht mehr können.«
Autor: Stefan Kühner in "Junge Welt", 19.10.2020
Klage abgewiesen
Das französisches Gericht in Évry bei Paris hat die Klage von Tran To Nga (siehe unten) gegen mehrere Unternehmen wegen des giftigen Entlaubungsmittels Agent Orange, das im Vietnam-Krieg eingesetzt wurde, für unzulässig erklärt.
Die Unternehmen, darunter der US-Saatgutkonzerns Monsanto, den mittlerweile der deutsche Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer übernommen hat, hätten damals im Auftrag der USA gehandelt. Deshalb können sich vor dem Gericht in Frankreich auf Immunität von der Gerichtsbarkeit berufen, hiess es am 10. Mai 2021 in der Entscheidung des Gerichts in Évry. Damit wies das Gericht Schadenersatzansprüche der Klägerin zurück.
Man habe grosses Mitgefühl mit der Klägerin und allen Menschen, die unter dem Vietnamkrieg gelitten haben, teilte der Konzern Bayer mit. "Es ist allerdings seit vielen Jahren von Gerichten anerkannt, dass Unternehmen, die zu Kriegszeiten im Auftrag der US-Regierung produzierten, nicht für mögliche Schäden verantwortlich sind", hiess es weiter. Auch für die früheren Hersteller von Agent Orange gelte, dass sie nicht für Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit der militärischen Nutzung des Produktes hafteten.
Nach der Urteilsverkündung gaben die Anwälte vo Tran To Nga bekannt, dass sie in Berufung gehen werden. Ein langer und beschwerlicher Kampf für die schwer kranke Tran To Nga geht weiter.
(Quellen: sda und Deutsche Freundschaftsgesellschaft Vietnam)
Prozess gegen Agent-Orange-Produzenten
Tran To Nga, Französin mit vietnamesischer Abstammung, hat beim Gerichtshof der französischen Stadt Evry eine Klage gegen US-Chemiefirmen eingereicht. Sie will damit Millionen von Agent Orange Opfern unterstützen. Hier berichtet sie von ihrem langen Weg. (Aktuellster Stand: siehe Reportage von Peter Jaeggi in der Schweizer "Wochenzeitung" WoZ vom 28.10.21)

Kein Kampf ist leicht
Von Tran To Nga
Die Geschichte begann vor acht Jahren, im Jahre 2009, bei einem Unterstützertribunal für Opfer von Agent Orange aus Vietnam. Ich habe dort ausgesagt, zusammen mit weiteren zwölf Zeugen, die aus den Vereinigten Staaten, aus Südkorea und den Philippinen gekommen waren.
Nach mehreren Tagen, in denen ich mir das Ganze hin und her überlegt habe, ging ich schließlich auf den Vorschlag von André Bouny und dem Anwalt William Bourdon ein, einen Prozess gegen die amerikanischen Chemie-Konzerne zu führen, die das Entlaubungsmittel produziert und während des Vietnamkriegs an die Streitkräfte der Vereinigten Staaten ausgeliefert haben.
Sechs Jahre lang haben Maître Bourdon und seine Mitarbeiter in strikter Geheimhaltung intensiv gearbeitet, um eine Anklageakte auszuarbeiten, die dann, wenn möglich, bei einem Gericht eingereicht werden soll. In diesen sechs Jahren haben wir und unsere Rechtsanwälte, ehe unsere Klage anerkannt und unterstützt wurde, viele Behinderungen und Schwierigkeiten erfahren. Ich selbst musste kritische Einwände gegen meine Person und gegen das Ziel meines Kampfes erleben, den ich am Abend meines Lebens führen wollte.
Im März 2015 hat ein Film mit dem Titel Agent Orange, une bombe à retardement (Agent Orange eine Bombe mit Zeitzünder)1 eine erneute intensive Diskussion über Agent Orange und eine breite Welle der Unterstützung ausgelöst. Zu Beginn hatten sich etwa zwanzig Freunde entschlossen, mich sehr schnell zu unterstützen, denn es war ein Wettlauf gegen die Zeit: Der Termin für die Zulassung vor Gericht war auf den 15. Mai festgelegt (nur fünf Jahre, nachdem ich vor dem genannten Tribunal ausgesagt und mich damit offiziell als Opfer von Agent Orange erklärt hatte). Nur wenige Menschen kannten mich, aber schon nach einer Woche kamen 16.000 € zusammen von den 35.000 €, die wir brauchten, um die Beweisakten übersetzen zu lassen. Die Rechtsanwälte arbeiteten ohne Bezahlung für uns.
Am 15. Mai 2015 wurde die Anklageschrift an die 26 amerikanischen Firmen verschickt, die an der Produktion von Agent Orange während des Vietnamkriegs beteiligt waren. Im April 2016 teilte uns das Berufungsgericht in Evry mit, dass von den 26 schon 19 auf die Anklage reagiert hätten. Ich empfand dies als einen großen Schritt voran in meinem Kampf.
Seitdem sind 15 Monate vergangen mit 8 Verhandlungen zur Beweisaufnahme, und in jeder Sitzung gab es Zwischenfälle und unsinnige Forderungen der Prozessgegner. Die Beweisaufnahme wurde trotzdem weitergeführt und jeder Verhandlungstag war für mich eine gewonnene Schlacht.
Aus den zwanzig zu Beginn sind jetzt hunderte von Menschen geworden, dazu etwa 20 Organisationen, die sich uns angeschlossen haben zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels: den Prozess zu unterstützen, der nur den Namen einer Person trägt: Tran To Nga.
Ob es die Firmen und ihre Anwälte nun wollen oder nicht, der Prozess hat weltweit Aufsehen erregt, nicht nur bei den Franzosen und Französinnen, sondern auch bei Menschen aus anderen Ländern. In New York wurde ich herzlich empfangen von amerikanischen Vietnamveteranen und Opfern von Agent Orange, in Luxemburg wurde ich vom Minister für Umwelt und dem Präsidenten der Nationalversammlung empfangen. Spenden aus der Schweiz, aus Deutschland, aus Italien, aus Belgien sind auf unserem Konto für die Deckung der Kosten des Prozesses eingegangen. In Frankreich wurde am 8. Mai 2017 ein Hilfskomitee gegründet, dem mehr als zehn Organisationen angehören und das von einem Führungsgremium geleitet wird. Seine Aufgabe ist es, Unterstützungsaktivitäten zu organisieren und für die Solidarität zu werben.
Das Ziel war: Bis Ende Juni etwa 60.000 € zusammenzubringen für die Übersetzungsarbeiten in Vorbereitung des Prozesses. (Siehe zuunterst). Dies ist eine absolute Voraussetzung. Eine andere Aufgabe des Komitees ist es, mich in Perioden der Krankheit zu vertreten. Auch wurden in einem Jahr schon mehr als 800 Exemplare meines Buchs Ma terre empoisonnée (Meine vergiftete Heimat)3 verkauft, von jedem verkauften Exemplar werden 5 € für die Arbeit der Komitees verwendet.
So kamen inzwischen mehr als 60.000 € zusammen, die es heute den Anwälten erlauben mit den Übersetzungen zu arbeiten und aus ihnen die Anklageschrift zu ergänzen. Wir müssen allerdings weiter Spenden sammeln. Denn der Prozess wird lang und teuer werden.
Liebe Freunde und Freundinnen, liebe Verantwortliche der verschiedenen Organisationen,
heute möchte ich meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, meine jedes mal erneuten und intensiveren Gefühle der Dankbarkeit für Ihre Großzügigkeit, Ihre Herzensgüte, Ihr Mitleid mit den 3 Millionen Opfern, die mit Agent Orange vergiftet wurden und krank sind.
Aber wir wollen mit unserem Kampf in bescheidener Weise auch zu dem Kampf unseren Beitrag leisten, den viele Bürger auf der ganzen Welt heute gegen Monsanto und die anderen Chemiefirmen führen, denn diese sind auch heute wieder für oft schwere Krankheiten verantwortlich, die auch schon viele Todesopfer gefordert haben, und die ausgelöst werden durch neue Pestizide, von denen Agent Orange ein Vorfahr war, und durch die gentechnisch veränderten Nahrungsmittel, durch die die Entwicklung der neuen giftigen Pestizide überhaupt erst nötig wurde.
Kein Kampf ist leicht, und schon gar nicht ein Kampf gegen so mächtige Kriminelle, die niemals bereit sind, ihre Verbrechen und ihre Missetaten anzuerkennen.
Mit meiner Dankbarkeit aus ganzem Herzen möchte eine Bitte verbinden: Bleiben Sie bei der Stange, unterstützen Sie meinen Kampf für eine gerechte Sache und gehen wir vereint den Weg weiter, bis die Opfer von Agent Orange eines Tages vielleicht das Licht der Gerechtigkeit sehen werden und vor allem, damit sie nie vergessen werden.
In Freundschaft, Tran To Nga
Die Deutsche Freundschaftsgesellschaft Vietnam und die Vereinigung Schweiz–Vietnam (VSV) unterstützen Tran To Nga in ihrem Kampf finanziell. Aber es dürfte jedem klar sein, dass der Prozess noch weitere Kosten verursachen wird. Deshalb appellieren wir jetzt auch an alle Mitglieder, diese Aktion weiter zu unterstützen.
Quelle: Deutsche Freundschaftsgesellschaft Vietnam / Vietnam-Kurier 1, September 2017
Download des Berichtes über Tran Tho Nga
in der Wochenzeitung WOZ Nr. 27/2018 vom 05.07.2018
«Sie versprühten so viel, dass man ganz nass wurde»
In Vietnam leiden noch immer Hunderttausende an den Spätfolgen der chemischen Kriegsführung der USA in den sechziger Jahren. Eine 77-jährige Betroffene kämpft seit vier Jahren vor einem französischen Gericht für Gerechtigkeit.
Bien Hoa: Grösste Dioxin-Entgiftungsaktion der Geschichte

Agent Orange-Beladungs-Sektion auf vdem US-Luftwaffenstütztpunkt Bien Hoa 1969. Foto: Hatfield.
2021 werden es 60 Jahre her sein, seit die USA im amerikanischen Krieg in Vietnam erstmals das Herbizid Agent Orange einsetzten. Damit begann eine der grössten und nachhaltigsten Vergiftungsaktionen der Geschichte. Sie fordert bis heute Opfer. Auch rund um den ehemaligen Luftwaffenstützpunkt Bien Hoa. Dort laufen jetzt die Vorbereitungen zur grösste Agent Orange-Entgiftungsaktion der Geschichte.
Epizentren der Agent-Orange-Vergiftungen sind heute ehemalige US-Luftwaffenstützpunkte, wo Herbizid-Sprayflugzeuge beladen wurden. Alles in allem sind in Südvietnam etwa 30 Dioxin-Hotspots bekannt.
Mit geschätzten 850 000 Tonnen vergifteter Erde ist Bien Hoa der am meisten kontaminierte. Auf dem Areal zeigte eine Probe eine 1300-fache Überschreitung des in den USA gültigen Grenzwertes. Das hat auch damit zu tun, dass damals nicht gebrauchte Herbizid-Fässer einfach verscharrt wurden. Tausende Liter des Giftes gelangten so in die Umwelt und in Nahrungsketten.
Tausend behinderte Menschen rund um den Flughafen
Laut der Vietnamesischen Vereinigung der Opfer von Agent Orange/Dioxin (VAVA) leben allein in in Bien Hoa mehr aus tausend behinderte Menschen und über 14 000 in der gesamten Provinz.
Niemand wird jemals mit Sicherheit wissen, wie viele Menschen genau an den Agent Orange-, bzw. Dioxinvergiftungsfolgen starben oder erkrankt sind. Weil der unmittelbare direkte Zusammenhang nicht nachgewiesen werden kann. Die Indizien sind jedoch eindeutig: Rund um Hotspots gibt es viel mehr behinderte Menschen als in unbelasteten Gebieten. Unter den Vätern und Mütter, die im Krieg den Herbiziden ausgesetzt waren haben samt ihren Nachkommen mehr Behinderungen als Menschen, die nie mit diesen Giften in Berührung kamen. Die USA bestreiten bis heute einen direkten Zusammenhang, unterstützen aber ihre eigenen geschädigten Kriegsveteranen und im kleinen Mass auch Agent Orange-Opfer in Vietnam.
Eine Sanierung mit ungewissem Ausgang
Die Sanierung in Bien Hoa wird vermutlich etwa zehn Jahre dauern und über 400 Millionen Dollar kosten. Mit ungewissem Resultat. Vor drei Jahren wurde auf der ehemaligen Air Force-Basis Da Nang die bis dazumal grösste Sanierung abgeschlossen. Für 103 Millionen Dollar hat Vietnam mit amerikanischer Hilfe man während zehn Jahren mit einem thermischen Verfahren (In-Pile Thermal Desorption IPTD) die verseuchte Erde gereinigt. Allerdings entwichen dabei grössere Mengen an Dioxin in die Umwelt.
Derzeit werden in Bien Hoa fünf verschiedene Sanierungs-Methoden diskutiert. Doch gibt es bis heute sind keine Technologie für eine sichere Vernichtung von Agent Orange. Der amerikanische Krieg in Vietnam scheint noch lange nicht vorbei zu sein. (pj).
Das ewige Agent Orange
Der Schadstoff Dioxin TCDD ist auch nach hundert Jahren noch gefährlich. Er war in Agent Orange und anderen Entlaubungsmitteln enthalten, die von den USA im Vietnamkrieg eingesetzt wurden.
Der Schadstoff Dioxin TCDD hält sich in tropischen Untergründen besonders lang. Ueber hundert Jahren etwa in Fluss- und See-Sedimenten. Mit verheerenden Folgen: das Gift gelangt so zum Beispiel via Fische in die Nahrungsketten und zerstört die Gesundheit voin Menschen.
Dioxin baut sich nicht leicht ab und ist während vielen Jahrzehnten toxisch. Die Halbwertszeit von Dioxin variiert je nach Standort: In Oberflächenböden, die vollständig dem Sonnenlicht ausgesetzt sind, beträgt die Halbwertszeit zwischen 1 und 3 Jahren. Beim Menschen liegt die Halbwertszeit zwischen 11 und 15 Jahren. Schätzungen zufolge 20 bis 50 Jahre oder älter, wenn es in einem tropischen Boden begraben ist. In Fluss- und Seesedimenten kann die Halbwertszeit mehr als 100 Jahre betragen.
Die Hälfte des Dioxins noch in den Böden
Es ist erst 50 Jahre her, seit Agent Orange und andere Entlaubungsgifte durch die USA und ihre Verbündeten im Vietnamkrieg grossflächig eingesetzt worden sind. Möglicherweise ist noch immer etwa die Hälfte des Dioxins in Hotspots der Luftwaffenbasis und angrenzenden, nicht sanierten Böden und Gewässern vorhanden.

Agent-Orange-Opfer mit seiner Tante in Da Nang. Foto © Roland Schmid.
Jahrhundertelange Folgen
Die natürliche Regeneration nach dem Besprühen von Agent Orange und anderen Entlaubungsmitteln mit dem Schadstoff Dioxin TCDD wird Jahrhunderte dauern, bis die betroffenen Wälder wieder hergestellt sind.
In besprühten Gebieten traten und treten Bodenerosion und Erdrutsche auf, die den Nährstoffgehalt des Bodens stark verringerten und die topografischen Merkmale der Landschaft veränderten. Diese vegetativen Veränderungen haben Walddächer und Wiesen für einige wenige wertlose Gräser und invasive Bäume geöffnet. Eine aktive Wiederbepflanzung mit ökologisch vertretbaren und wirtschaftlich wertvollen Baum- und Sträucherarten wie Gummibäumen erfordert erhebliche und nachhaltige, langfristige Investitionen. Die Mangrovenwälder von U Minh auf der Halbinsel Ca Mau waren gegenüber allen Herbiziden besonders empfindlich. Große Teile dieser uralten Mangrovenwälder wurden durch Agent Orange vernichtet
Das ewige Agent Orange
Die Regeneration ist wegen der starken landwirtschaftlichen Nutzung, der zunehmenden Besiedlung der Region, des Eindringens von Salzwasser in Küstenflüsse und der Veränderung des natürlichen Wasserspiegels sehr schwierig.
Der Schadstoff Dioxin TCDD, der in der Formulierung dieser Entlaubungsmittel enthalten war, ist also weiterhin ein gravierendes Umwelt- und Gesundheitsproblem,
Quelle: Olson, K.R. and Morton, L.W. (2019) Long-Term Fate of Agent Orange and Dioxin TCDD Conta- minated Soils and Sediments in Vietnam Hotspots. Open Journal of Soil Science, 9, 1-34. https://doi.org/10.4236/ojss.2019.91001

Vietnam verbietet Glyphosat
In Vietnam hat das Ministerium für Landwirtschaft die Herbizidbekämpfung mit glyphosathaltigen Mitteln untersagt. Das Verbot gilt ist seit Juni 2019. Es betrifft auch den Import und die Produktion glyphosat-basierter Herbizide.
pj. Die noch im Land vorhandenen Bestände dürfen allerdings noch ein Jahr lang eingesetzt werden. Der Leiter der vietnamesischen Pflanzenschutzbehörde (PPD), Hoang Trung, begründete die Entscheidung damit, dass Glyphosat die Umwelt beeinträchtige und schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Menschen habe. In Vietnam gebe es alternativ mehr als fünfzig sichere und wirksame Herbizidwirkstoffe.
USA: scharfe Kritik
In den USA stiess der Entscheid auf scharfe Kritik. Landwirtschaftsminister Sonny Perdue warnte vor „verheerenden Folgen“ für die globale Agrarproduktion. „Wenn wir im Jahr 2050 rund zehn Milliarden Menschen ernähren wollen, brauchen die Landwirte weltweit alle verfügbaren Mittel und Technologien“, sagte der Agrarminister. Studien der US-Umweltschutzbehörde (EPA) und von anderen international anerkannten Behörden hätten ergeben, dass glyphosatbedingte Krebserkrankungen beim Menschen unwahrscheinlich seien. Eine höchst umstrittene Aussage. Ausserdem warnte Perdue, dass die Entwicklung des vietnamesischen Agrarsektors durch das Wirkstoffverbot gehemmt werden könnte. Zudem bestehe das Risiko, dass die dortigen Landwirte Glyphosat durch illegale Chemikalien ersetzen würden.
Sri Lanka: Verbot aufgehoben
Schlechte Erfahrungen mit einem Glyphosatverbot hat Sri Lanka gemacht. Dort durfte der Wirkstoff ab 2015 vorübergehend nicht eingesetzt werden, weil der Verdacht auf Nierenversagen aufkam. Als Reaktion auf gegenteilige Erkenntnisse wurde das Verbot wieder aufgehoben.
Der deutsche Bayer-Konzern bezifferte die jährlichen, durch das Anwendungsverbot verursachten Verluste der Teeindustrie Sri Lankas mit Verweis auf Medienberichte auf rund hundert Millionen Euro. Ausserdem seien die dortige Maisernte um zwanzig Prozent und die Reiserzeugung um die Hälfte kleiner ausgefallen.
Die thailändische Regierung erwägt, die Herbizide Glyphosat und Paraquat sowie das Insektizid Chlorpyrifos ab 2021 aus Gesundheits- und Umweltschutzgründen zu verbieten. Im Kontext einer 2017 veröffentlichten Studie aus Thailand wurde festgestellt, dass Frauen, die in der Landwirtschaft tätig sind oder deren Familienangehörige in der Landwirtschaft arbeiten und zwischen Mai und Dezember 2011 im 7. Monat schwanger waren, bei der Geburt erhöhte Werte von Paraquat und Glyphosat sowohl im eigenen Blutserum als auch im Blutserum der Nabelschnur aufwiesen.
„Wahrscheinlich Krebs erregend“
Glyphosat bleibt umstritten. Eine Unterbehörde der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte Glyphosat 2015 als "wahrscheinlich Krebs erregend" eingestuft. Andere Behörden und Studien kamen zum Schluss, dass Glyphosat bei sachgemäßer Handhabung sicher sei.
Als erstes EU-Land verbannte Österreich im Juli 2019 Glyphosat von seinen Äckern. Allerdings besteht eine Rechtsunsicherheit, da die EU das Gift noch bis 2022 erlaubt.
Viertausend Klagen
In den USA wurden viertausend Klagen gegen den Roundup-Hersteller Monsanto eingebracht. Nur eine Klage hat bislang zu einem Prozess geführt.
Roundup ist ein weltweit bekanntes Herbizid, das Glyphosat enthält. Glyphosathaltige Agrarchemie existiert auch unter vielen anderen Namen. Glyphosat ist die biologisch wirksame Hauptkomponente einiger Breitband- und Totalherbizide
Monsanto gehört heute zur deutschen Bayer-Gruppe und war während des Vietnamkrieges Hauptlieferant des dioxinhaltigen Entlaubungsmittels Agent Orange. Glyphosat gilt allerdings nicht als Nachfolgeprodukt von Agent Orange.
Der amerikanische Anwalt Timothy Litzenburg vertrat rund eintausend Glyphosat-geschädigte Opfer. Er sagte: „Vielleicht werden uns unsere Kinder bald fragen, wie es möglich war, dass wir so lange Obst und Gemüse gegessen haben, das völlig legal mit Gift bespritzt wurde.“ (Siehe dazu auch https://www.facebook.com/watch/?v=1822894247953967)
Quellen: ntv-de / arte-tv / Welt / Wikipedia / Schweizer Bauer u.a.
Vietnam fordert von den USA
erneut Entschädigungen für Agent-Orange-Opfer

Nachdem im August 2018 das San Francisco Superior Court Dewayne Johnson (Bild oben) , der unheilbar an Lymphdrüsenkrebs erkrankt ist, eine Entschädigung von 289 Millionen US$ zugesprochen hat, fordert die Regierung Vietnams erneut Entschädigungen für die vietnamesischen Agent Orange Opfer.
Johnson hatte als Hausmeister über Jahre hinweg das glyphosathaltige Monsanto-Unkrautmittel Roundup eingesetzt.
Die Sprecherin des vietnamesischen Aussenministeriums, Nguyen Phuong Tra, erklärte am 23. August 2018: "Das Urteil dient als rechtlicher Präzedenzfall, der frühere Behauptungen widerlegt, dass die Herbizide von Monsanto und anderen Chemieunternehmen in den USA, die für die US-Armee im Krieg vorgesehen waren, harmlos sind. Wir glauben, dass Monsanto für die Leiden der Opfer von Agent verantwortlich gemacht werden sollte.“
Agent Orange wurde unter anderem von den US-Firmen Dow Chemical und Mobay, einem Gemeinschaftsunternehmen von Monsanto und der Bayer AG, hergestellt und geliefert. Wegen des enormen Bedarfs kam es bald zu Lieferschwierigkeiten. Zwischenprodukte für die Herstellung von Agent Orange wurden auch von der deutschen Firma Boehringer Ingelheim und vom tschechoslowakischen Unternehmen Spolana bezogen.
Auch der Geschäftsführer der VAVA (Vietnamese Association of Victims of Agent Orange), Quach Thanh Vinh, plädiert dafür, erneut in Sachen Entschädigungen aktiv zu werden „So schwierig und langwierig dieser Fall auch sein mag, wir werden ihn nie aufgeben, um der Millionen vietnamesischer Opfer willen."
Merle Ratner, die amerikanische Koordinatorin der in den USA ansässigen Organisation „Việt Nam Agent Orange Relief & Responsibility Campaign“, sieht dies ähnlich. Sie stimme zu, dass das Urteil des US-Gerichtshofs "historische Bedeutung" und wichtige Auswirkungen habe, erklärte sie. Ratner unterstützt seit Jahren die Rechtsstreitigkeiten gegen das Chemieunternehmen.
Ein von Monsanto angestrengter Antrag auf ein neues Verfahren wurde im Oktober 2018 von einem Gericht in San Francisco zurückgewiesen. Richterin Suzanne Ramos Bolanos senkte wohl die Schadenersatzsumme für Dewayne auf 78 Millionen US$ bestätigte aber, dass die Produkte von Monsanto Krebs auslösen und der Konzern nicht über die Risiken aufgeklärt habe.
Der Monsanto-Konzern wurde im Juni 2018 von Bayer übernommen. Die Schadenersatz-Urteile führten zu einem Kurssturz der Aktie von Bayer. Bayer-Chef Werner Baumann wies trotzdem jede Verantwortung von sich. Auf die Fragen der deutschen Wirtschaftszeitung ‚Handelsblatt‘ erklärt er am 23.08.2018: „Wir werden uns in diesem Fall und auch in den weiteren Fällen sehr entschieden verteidigen. Die Entscheidung der Jury steht im Widerspruch zu bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, jahrzehntelangen praktischen Erfahrungen und den Einschätzungen von Regulierungsbehörden weltweit. Alle diese Erkenntnisse, Erfahrungen und Einschätzungen bestätigen, dass Glyphosat sicher ist und keine Krebserkrankung verursacht.“ [1]
[1] Handelsblatt Online, 23.08.2018; “Wir werden uns sehr entschieden verteidigen”
(Hauptquelle: Freundschaftsgesellschaft Deutschland-Vietnam)
Foto © phys.org
Monsanto-Tribunal
Pollen, Lizenzen, Gedächtnisverlust
In Den Haag trafen sich Fachleute und AktivistInnen aus der ganzen Welt und sammelten grausige Fakten zum US-Konzern Monsanto und seinem Landwirtschaftsmodell.
Von Bettina Dyttrich
Sabine Grataloup erzählt von ihrem Sohn. Er kam mit deformierter Luft- und Speiseröhre zur Welt. Heute ist er neun und hat schon fünfzig Operationen hinter sich. Die Französin ist überzeugt, dass sie den Grund für die Behinderung kennt: Auf einem 700 Quadratmeter grossen Landstück spritzte sie Monsantos Unkrautvernichtungsmittel Roundup, als sie schwanger war, es aber noch nicht wusste.
Die Argentinierin María Liz Robledo hat eine Tochter, ebenfalls mit kaputter Luftröhre, die nach der Geburt fast erstickte. In ihrem Dorf lebt ein zweites Kind mit ähnlichen Beschwerden. In Argentinien werden Roundup und andere Mittel mit dem Wirkstoff Glyphosat in riesigen Mengen auf Sojafelder gesprüht, oft mit dem Flugzeug. In der EU sind maximal zwei Kilo Glyphosat pro Hektare zugelassen, in Südamerika sind zehn bis zwölf Kilo normal.
Grataloup und Robledo sind zwei von vielen ZeugInnen am Monsanto-Tribunal, das vergangenes Wochenende im niederländischen Den Haag stattgefunden hat. Zu den OrganisatorInnen gehören die indische Umweltaktivistin Vandana Shiva, die frühere französische Umweltministerin Corinne Lepage und Olivier De Schutter, der ehemalige Uno-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.
Schon in Vietnam dabei
Die Vorwürfe, die die ZeugInnen dem US-Konzern machen, den das deutsche Chemieunternehmen Bayer kaufen will (siehe WOZ Nr. 38/16), wiegen schwer. Da ist etwa der französische Bauer Paul François. Beim Öffnen eines Tanks atmete er das – inzwischen in der EU nicht mehr zugelassene – Monsanto-Herbizid Lasso ein: elf Tage Gedächtnisverlust, fünf Monate Spital, neun Monate arbeitsunfähig. Farida Akhter aus Bangladesch wirft Monsanto vor, in ihrem Staat Gentechauberginen zu verbreiten – ohne offizielle Zulassung und ohne Landwirte oder Konsumentinnen zu informieren. Der australische Bauer Steve Marsh verlor das Biolabel, weil sein Raps mit Gentechpollen kontaminiert war. In Kanada versuchte Monsanto, den Farmer Percy Schmeiser zu zwingen, Lizenzen zu zahlen für Gentechraps, der sich von selbst auf seinem Land ausgebreitet hatte. Und der US-Anwalt Timothy Litzenburg vertritt Hunderte von LymphdrüsenkrebspatientInnen, die ihre Erkrankung auf Glyphosat zurückführen.
Was sagt der Konzern zu all dem? Mit einem offenen Brief hat er die Teilnahme abgesagt, ohne auf Details einzugehen. Die OrganisatorInnen des «Pseudotribunals» (O-Ton Monsanto) meinen es allerdings ernst: Sie haben professionelle Anwältinnen und Richter eingeladen, die die Vorwürfe bis Dezember prüfen und sich dabei auf internationales Recht stützen. Bewusst findet das Tribunal in Den Haag statt, dem Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs, der für sogenannte Völkerrechtsverbrechen wie Genozid und Kriegsverbrechen zuständig ist. Denn die AktivistInnen wollen ein neues Völkerrechtsverbrechen definieren: Ökozid, die Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen.
Das Wort ist nicht neu. Arthur Galston, Botaniker an der Yale-Universität, verwendete es schon 1970, alarmiert vom Vietnamkrieg. Damit sich ihre GegnerInnen nicht verstecken konnten, besprühte die US-Armee vietnamesische Wälder mit dem hochgiftigen Entlaubungsmittel Agent Orange, hergestellt von Monsanto, Bayer und anderen Chemiefirmen.
Hartnäckige Geister
Die Juristin und Tribunalmitorganisatorin Valérie Cabanes sagt, Monsanto erfülle den Tatbestand des Ökozids mehrfach: nicht nur mit den Giften, die der Konzern vertreibe, sondern auch, «weil er den Genpool einengt und so die biologische Vielfalt gefährdet». Unter den ZeugInnen des Tribunals zeigen wohl Feliciano Ucan Poot und Angelica El Canche aus Mexiko am deutlichsten, wie vielschichtig Ökozid sein kann. Die beiden leben vom Biohonig, der auch nach Europa exportiert wird. Doch seit sich Gentechmais und -soja in Mexiko ausbreiten, kämpfen sie mit Verunreinigungen. Gleichzeitig fallen immer mehr Bienen Pestiziden und Monokulturen zum Opfer, das Gift landet im Wasser und macht die Menschen krank.
«Wie viel Evidenz brauchen wir eigentlich noch?» Hans Rudolf Herren ist hörbar genervt. Der Schweizer Insektenforscher, der mit Biovision den Biolandbau in Afrika fördert, gehört ebenfalls zu den MitorganisatorInnen des Tribunals: «Wir brauchen nichts, was Monsanto, Syngenta, Bayer verkaufen. Es hilft nicht, die Ernährung zu sichern.»
Herren ist Wissenschaftler wie viele andere, die nach Den Haag gekommen sind. Doch Monsanto – Stichwort #RootedinScience – versucht immer noch, seine KritikerInnen als unwissenschaftliche EsoterikerInnen hinzustellen. Das Tribunal sei «von einer Vielzahl von Biolobbys» organisiert, «die jede Innovation in der Landwirtschaft seit dem Pflug bekämpfen». Monsanto selbst wird von seinen alten «Innovationen» wie von hartnäckigen Geistern verfolgt: Es gelte, endlich aufzuräumen mit dem Mythos, der Konzern habe Agent Orange erfunden, heisst es auf der Website. Das Gift sei «eine Kombination von zwei im Handel erhältlichen Herbiziden, die vor dem Vietnamkrieg jahrzehntelang benutzt wurden.» Klingt das nicht enorm beruhigend?
(© Die Wochenzeitung Nr. 42 / 2016; 20.10.2016)
Wenig hilfreiches Kesseltreiben
Von Sergio Aiolfi (ai)
Unter Umweltschützern gilt Monsanto als das meistgehasste Unternehmen der Welt. Ist der Agrokonzern aber auch noch als kriminelle Organisation einzustufen? In Den Haag hat am Freitag ein dreitägiges «Tribunal» begonnen, bei dem es darum geht, das Unternehmen möglichst vieler Untaten zu bezichtigen. Die Veranstalter, eine Reihe von Organisationen aus der Zivilgesellschaft, wollen «aufdecken», dass Monsanto Menschenrechte verletzt und dem Ökosystem irreparable Schäden zufügt. Von einem Tribunal im Sinne eines Gerichts kann indessen keine Rede sein: Es treten nur Zeugen der Anklage auf, der Beschuldigte, Monsanto, ist nicht präsent (obschon man ihn «dringend ermutigt» hat teilzunehmen), und er wird auch nicht durch einen Verteidiger vertreten. Als Richter amten fünf honorable Juristen, die, wie es heisst, ein unabhängiges Urteil fällen werden. Betrachtet man die Anordnung des Prozesses, ist es allerdings unwahrscheinlich, dass am Ende etwas anderes als ein Schuldspruch herauskommen wird. Das Ganze ist ein als Gerichtsverfahren maskierter Schauprozess.
Am Pranger steht auch nicht nur Monsanto, sondern die gesamte industrielle Landwirtschaft, die man als Ursache aller Arten von Übeln sieht. Die Liste der Anschuldigungen ist lang, wie einem Tribunal-Flyer zu entnehmen ist. Pflanzenschutzmittel und Saatgut der modernen Agro-Technologie sind nicht nur für Umwelt-Verpestung und den Verlust biologischer Vielfalt verantwortlich. Sie sind auch Grund für die Erderwärmung sowie für die Abnahme der Bodenfruchtbarkeit und der Grundwasserreserven, und sie haben zur Verdrängung von Millionen von Kleinbauern geführt. Die Pflanzenschutzprodukte von Monsanto, so ist weiter zu lesen, hätten zum Tod Tausender von Menschen geführt. Angesichts einer solchen Anhäufung angeblicher Verbrechen erstaunt es nicht, dass das Tribunal dafür plädiert, den «Ökozid», die auf Umweltzerstörung zurückzuführende Ausrottung ganzer Völker, zu einem Tatbestand des internationalen Strafrechts zu erklären.
Besonders im Visier haben die Kritiker in Den Haag das Monsanto-Produkt Glyphosat, ein Herbizid, das, so heisst es, im «Mittelpunkt des grössten Gesundheits- und Umweltskandals der modernen Geschichte» steht. Glyphosat ist in der Tat umstritten; die um das Produkt geführte öffentliche Debatte zeigt aber auch, wie schwierig es ist, agrotechnische Neuerungen klar zu beurteilen. Man nähert sich der Wahrheit schrittweise. Während etwa die internationale Agentur für Krebsforschung der WHO 2015 zum Schluss kam, Glyphosat sei «wahrscheinlich krebserregend», vertrat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit wenig später die Meinung, das Produkt sei «wahrscheinlich weder erbgutschädigend noch krebserzeugend». Diesem zweiten Verdikt hat sich auch das Bundesamt für Landwirtschaft angeschlossen. Angesichts einer so unsicheren Faktenlage ist es wenig hilfreich, wenn ein selbsternanntes Tribunal ein Kesseltreiben gegen jede Art industrieller Landwirtschaft veranstaltet. Die Welt steht vor grossen ernährungspolitischen Herausforderungen. Zu deren Bewältigung braucht es Leute, die offen sind für neue Technologien, nicht Maschinenstürmer.
(© Neue Zürcher Zeitung,15.10.2016)
Bayer und das Misstrauen der Welt
Aus «DIE ZEIT»: Der Vorzeigekonzern kauft eines der umstrittensten Unternehmen des Planeten. Nun macht sich Skepsis breit. Kann die Übernahme noch scheitern? (Hier weiterlesen).

Der amerikanische Krieg – Erinnerungskultur in Vietnam
Wie verarbeitete und verarbeitet Vietnam die Tragödie des letzten Krieges, der 1975 endete? Der deutsche Historiker Andreas Margara macht sich in diesem spannenden Buch auf zu einer «Erinnerungsreise». Er besucht Denkmäler, Kriegsschauplätze, Museen und erzählt deren Geschichte und berichtet von Menschen, die dahinter stecken. Bis hin zum kleinen Dorf My Lai, wo ein US-Leutnant mit seiner Kompagnie fast alle Einwohner – samt Frauen , Greisen und Kindern – grundlos tötete, Frauen vergewaltigte, Häuser anzündete. Das Besondere an diesem Buch: Es beleuchtet nicht wie üblich die amerikanische Sicht, sondern jene des vietnamesischen Volkes. So gesehen ist das Buch ein wertvoller Beitrag zur umfassenden Geschichtsschreibung über diesen sinnlosen Krieg. (pj)
Andreas Margara, Der amerikanische Krieg – Erinnerungskultur in Vietnam, regiospectra-Verlag, Berlin 2012, www.regiospectra.com
USA verschweigen die grosse Lüge
und färben den Vietnamkrieg schön
Der Tag rückt näher, an dem vor 50 Jahren der Vietnamkrieg begann. Mit einer landesweiten Kampagne unter dem Titel "Commemoration of Vietnam War" will die US-Regierung an dieses Ereignis erinnern. Das ehrende Gedenken (commemoration) gilt aber allein den US Soldaten. Die Opfer in Vietnam und die Leiden der am Krieg Beteiligten bleiben ohne ehrende Erinnerung. Ja, sie kommen nicht einmal vor. Jetzt fordern amerikanische Kriegsveteranen eine wahrheitsgetreue und ehrliche Beschreibung dieses Krieges.
Von Stefan Kühner
Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Freundschaftsgesellschaft Vietnam
Der Vietnamkrieg begann mit einer Lüge
Am 7. August 1964 stimmten der US-Senat und das Repräsentantenhaus über eine Resolution ab, die den damaligen Präsidenten Lyndon B. Johnson ermächtigte, mit militärischer Gewalt gegen die Demokratische Republik Vietnam (DRV) vorzugehen. Es war der offizielle Beginn eines der fürchterlichsten Kriege des letzten Jahrhunderts. Vorausgegangen war eine Lüge: Angeblich hatten nordvietnamesische Boote den US-Zerstörer Maddox angegriffen. Doch auch 50 Jahre danach bezeichnen die offiziellen USA diese Lüge nicht als Lüge. Wer denkt, dass mit Gedenken an diesen Krieg eine Selbstkritik mitschwingen würde oder gar so etwas wie Bitten um Verzeihung gegenüber den Opfern in Vietnam, wird bitter enttäuscht. Die Lüge vom frei erfundenen Angriff auf die Maddox wird weiter verbreitet und auch sämtliche Legende der US-Administration wird weiter gepflegt.
Kriegsverherrlichung
Unter dem Namen "Ehrendes Gedenken an den Vietnamkrieg" startet die US-Regierung eine riesige Kampagne, um diesen Krieg zu verherrlichen. Das Verteidigungsministerium wurde beauftragt, ein Programm zur ehrenden Erinnerung an den Vietnam-Krieg durchzuführen und dabei alle Aktivitäten staatlicher Institutionen, lokaler Regierungen und anderer Organisationen und Einzelpersonen zu koordinieren. Als Ziel für das Programm wird vorgegeben:
1. Den Veteranen des Vietnamkriegs einschliesslich der Kriegsgefangenen und den Personen, die in Vietnam vermisst wurden, Dank zu sagen und ihnen Ehre zu zollen für ihren Einsatz und ihr Opfer für die Vereinigten Staaten. Dies gilt auch für die Familien dieser Veteranen.
2. Den Einsatz der bewaffneten Einheiten während des Vietnamkrieges hervorzuheben, einschliesslich der Beiträge der staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, die direkt oder indirekt die Streitkräfte unterstützt haben.
3. Den Organisationen des amerikanischen Volkes Dank zu sagen, die an der Heimatfront des Vietnamkrieges ihre Unterstützung geleistet haben.
4. Die technologischen, wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritte hervorzuheben, die für die militärische Forschung während des Vietnamkrieges geleistet wurden.
5. Die Beiträge und Opfer anzuerkennen, die von den Alliierten der USA erbracht wurden.
13 Jahre Kriegspropaganda geplant
Das Projekt "Commemoration of Vietnam War" ist nicht einfach ein Strohfeuer, das 2014 mal angezündet wird. Nein, das Pentagon startete damit ein Programm, das 13 Jahre dauern soll und die komplette Geschichte dieses grauenhaften Krieges wiederaufführt. Dieses Mal aber ohne lästige Reporter und Fotografen wie Ronald Ridenhour, Ron Haeberle oder Seymour Hersh, die das Massaker von My Lai in die Welt trugen. Und ohne Nick Ut, der das Foto des Napalm verbrannten Mädchens Kim Phuc schoss (Bild unten aus unserem ersten Buch).
Wie die 15 Jahre "ehrenvolle Erinnerung" laufen wird, lässt eine umfangreiche Homepage schon jetzt erahnen. Aufgemacht wie ein Tagebuch beschreiben etwa 250 kurze Texte Ereignisse in der Jahre 1945 bis 1975. [1] Ein grosser Teil der Einträge widmet sich mit warmen Worten US-Soldaten und den ihnen umgehängten Verdienstorden. Die Kaltschnäuzigkeit, mit der dagegen die Opfer behandelt werden, kann man in Einträgen vom 4. Mai 1970 nachlesen. An diesem Tag wurden auf dem Gelände der Kent State University sechs Friedensdemonstranten erschossen. Diese Toten werden nicht mit Namen genannt. Oder der Eintrag vom 16. März 1968. Es ist der Tag des Massakers von My Lai. Hier vermerkt die ganze vier Zeilen lange "ehrenwerte Chronik" lapidar, dass bis zu 500 Zivilisten getötet worden seien. Ein letztes Beispiel. 18.12.1972. An diesem Tag beschloss die US-Regierung die Weihnachtsbombardements auf Hanoi. Originaltext: "Die Entscheidung der Delegation Nordvietnams, die Pariser Friedensverhandlungen (vorübergehend, Red.) zu verlassen, beantwortete Präsident Nixon noch am selben Tag mit einer Serie verheerender Luftangriffe auf Nordvietnam." Punkt Ende. Es waren die so genannten Weihnachtsangriffe. Die Bombardements dauerten 1972 vom 18.12. bis zum 31.12. – Tag und Nacht rund um die Uhr, 24 Stunden lang. Am Weihnachtstag wurde pietätvoll eine kleine Pause eingelegt. Die Buchhalter des Schreckens im Pentagon registrierten rund tausend Einsätze mit 193 Flugzeugen, etwa 100 000 abgeworfene Bomben, 21000 Tonnen Sprengstoff. Die Zahl der toten Zivilisten nannten sie nicht.
Was das Pentagon mit dieser Kampagne will, liegt auf der Hand: Die Schrecken des Krieges werden wegretuschiert. Die Opfer der Kriegshandlungen ebenfalls und ebenso die Wunden und auch der Tod, den die eigenen "heroischen" Soldaten erleiden müssen. Denn neue Kampfeinsätze stehen bevor. So wie auch die Zeit nach dem Vietnamkrieg nur die Zeit vor dem Irakkrieg war und weiteren Militäreinsätzen in Afghanistan, im Sudan, in Lybien.
Widerstand der "US-Veteranen für den Frieden"
Die amerikanischen Veteranen für den Frieden konterten allerdings rasch. Sie starteten eine Gegenkampagne. Ihr Aufmacher: "Volle Offenlegung der Ereignisse in Vietnam". [2] Im Aufruf für ihre Kampagne heisst es: Statt eine ehrliche Auseinandersetzung mit den bitteren Lektionen zu beginnen, die die USA in Vietnam lernen musste, rechtfertigt das US-Verteidigungsministerium diesen Krieg ohne die fürchterlichen Zerstörungen und Verwüstungen zu nennen, die Vietnam und seiner Bevölkerung zugefügt wurden. Es werden nicht einmal die Auswirkungen genannt, die auch amerikanische Soldaten und ihre Familien bis heute treffen. Kein Wort zu den psychischen und physischen Schäden und Krankheiten. Keine Hinweise auf die bis heute andauernden Geburtsschäden der Nachgeborenen. Es gibt keine Erwähnung der Millionen Menschen, vor allem von Frauen und Kindern, die entführt, gefoltert und getötet wurden. Es gibt keine Hinweise auf mutige amerikanische Soldaten, die in Vietnam Widerstand leisteten. Das US-Verteidigungsministerium würdigt ausserdem in keiner Weise die Nachkriegsaktivitäten zu Versöhnung vieler ehemaliger Soldaten, die in Vietnam waren. Die Veteranen für Frieden setzen den offiziellen Zielen ihre eigene Botschaft entgegen: "Unser Ziel ist eine wahrheitsgetreue und ehrliche Beschreibung dieses Krieges". Sie planen dazu Aktionen am Jahrestag des angeblichen Tonkin-"Zwischenfalls" sowie der Verabschiedung der Tonkin-Resolution. In Kunst- und Foto-Ausstellungen soll an den Krieg erinnert und vor den Folgen moderner Kriegsführung gewarnt werden. In Veranstaltungen und Foren soll insbesondere an die chemische Kriegsführung (Agent Orange), die Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und den Irrsinn einer automatischen Technologie-Kriegsführung aufgeklärt werden.
Auf ihrer Homepage [3] rufen die Veteranen dazu auf, die Kampagne aus dem Pentagon zum Anlass zu nehmen "und zu erzählen, was in Vietnam in diesen tragischen Jahren wirklich passiert ist. Lasst uns die Lehren aus diesen Geschehnissen ziehen und dazu beitragen dass sich Amerikas Politik ändert und eine bessere Gestalt annimmt für uns und andere Nationen."
Der amerikanische Buchautor, Journalist und Historiker Nick Turse* unterstützt diese Argumentation. Er nennt in einem Beitrag in der Asia Times vom 19.2.2014 die Kampagne frei übersetzt "Erinnerung mit dem Fleischermesser" (A butchered memory of war) [4].

* Nick Turse hat über das Massaker von My Lai und andere Kriegsverbrechen in Vietnam promoviert, die das US-Militär beging. Seine Arbeit ist als Buch erschienen unter dem Titel "Kill Anything That Moves" (Töte alles was sich bewegt). Nick Turse; Kill everything that moves; Picador; Reprint edition; Dez. 2013; ISBN 978-1-250-04506-5
Senfgas, Sarin, Agent Orange:
100 Jahre Giftgas-Tradition bei BAYER

1988: Giftgasangriff auf die kurdischen Stadt Halabja
(der keinen Zusammenhang mit Bayer hat). Foto-Quelle
Die in Syrien gelagerten Giftgase, darunter Sarin, Senfgas und VX, wurden größtenteils in den Laboren der BAYER AG entwickelt. Anlässlich der aktuellen Diskussion um Lieferungen an das syrische Regime veröffentlichen wir ein Dossier über die 100-jährige Giftgas-Geschichte des Konzerns. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren fordert, alle Exporteure von chemiewaffenfähigen Stoffen offen zu legen.
Von Redaktion CBG Network – Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V.
Senfgas und Phosgen
Kurz nach Beginn des 1. Weltkriegs wurde auf Vorschlag des Kriegsministeriums eine Kommission ins Leben gerufen, die sich mit der Nutzung giftiger Abfallstoffe der Chemie-Industrie beschäftigte. Diese unterstand dem BAYER-Generaldirektor Carl Duisberg, Fritz Haber vom Kaiser-Wilhelm-Institut sowie dem Chemiker Walter Nernst. Die Kommission empfahl der Heeresleitung zunächst die Nutzung von Chlorgas, wobei wissentlich gegen die Haager Landkriegsordnung verstoßen wurde, die den militärischen Einsatz von Giftgas seit 1907 verbietet.
Carl Duisberg war bei den ersten Giftgasversuchen auf dem Truppenübungsplatz in Köln-Wahn persönlich anwesend und pries den chemischen Tod begeistert: „Die Gegner merken gar nicht, wenn Gelände damit bespritzt ist, in welcher Gefahr sie sich befinden und bleiben ruhig liegen, bis die Folgen eintreten.“ In Leverkusen wurde sogar eine Schule für den Gaskrieg eingerichtet. Der erste Einsatz von Chlorgas durch das deutsche Heer erfolgte schließlich im belgischen Ypern. Allein bei diesem Angriff gab es schätzungsweise 2.000 bis 3.000 Tote und ein mehrfaches an Schwerverletzten.
Unter Carl Duisbergs Leitung wurden bei BAYER immer giftigere Kampfstoffe entwickelt, zunächst Phosgen und später Senfgas. Duisberg forderte vehement deren Einsatz: „Ich kann deshalb nur noch einmal dringend empfehlen, die Gelegenheit dieses Krieges nicht vorübergehen zu lassen, ohne auch die Hexa-Granate zu prüfen“, so Duisberg wörtlich. Insgesamt geht die Forschung von 60.000 Toten des von Deutschland begonnenen Gaskrieges aus.
Sarin und Tabun
Die nächste Generation von Giftgasen, Stoffe wie Sarin und Tabun, gehört zur Gruppe der Organophosphate. Sie entstammt ebenfalls den Laboren von BAYER. Entwickelt wurden die Substanzen 1936 bzw. 1938 in Wuppertal von Dr. Gerhard Schrader (das „S“ in Sarin steht für Schrader). Bis Kriegsende wurden in der Giftgas-Fabrik in Dyhernfurt rund 12.000 Tonnen Tabun produziert. Gerhard Schrader leitete nach dem 2. Weltkrieg die Pestizid-Abteilung von BAYER.
Nach dem Ende des Dritten Reiches unternahmen die Alliierten nichts, um die Wissenschaftler einer Strafe zuzuführen. Sie versuchten vielmehr, von ihrem gefährlichen Wissen zu profitieren. Die Militärs zogen dafür die ganze Wissenschaftselite auf Schloss Kransberg im Taunus zusammen. Schrader, Heinrich Hörlein und die übrigen Kollegen von der Dyhernfurther Chemiewaffen-Fabrik, deren Unterlagen später auch sowjetische Wehrwissenschaftler systematisch auswerteten, stellten dabei das größte Kontingent.
„Die chemischen Nervenkampfstoffe stießen bei den Engländern und Amerikanern auf größtes Interesse, Vergleichbares besaßen sie in ihren Arsenalen nicht. Schrader und Konsorten mussten deshalb in Kransberg bis in die kleinsten Details Aufzeichnungen über die Synthese ihrer Ultragifte anfertigen“, schreiben Egmont R. Koch und Michael Wech in ihrem Buch „Deckname Artischocke“.
Schrader war den US-Experten sogar so wertvoll, dass sie ihn mit in die Vereinigten Staaten nahmen. In Diensten des „Chemical Corps“ der US-Streitkräfte tat er dann genau das, was er während der NS-Zeit auch gemacht hat.
VX-Kampfstoffe
In den 50er Jahren kehrte Schrader nach Deutschland und zu BAYER zurück. Seine Vergangenheit stellte für den Chemie-Multi kein Hindernis für eine Wiedereinstellung dar. Und erneut arbeitete Schrader auch an Kampfstoffen: Zusammen mit den BAYER-Forschern Ernst Schegk und Hanshelmut Schlör reichte er 1957 (zwei Jahre später auch in den USA) Patente zur Herstellung von Phosphorsäureester-Insektiziden ein.
Diese sollten gegen Fliegen, Milben und Blattläuse eingesetzt werden. In seinem Artikel „Die Entwicklung neuer Phosphorsäureester“ führte Schrader aus, wie man aus der allgemeinen Formel Stoffe mit hoher „Warmblüter-Toxizität“ gewinnen kann, die diejenige von Sarin oder Tabun weit übersteigt.
Die von der US-Armee hergestellten Kampfstoffe VX, VE, VM, VS und 33SN basieren zum Teil auf diesen Patenten. Zwar bestritt BAYER, nach diesen Formeln selber Chemie-Waffen hergestellt oder das Recht dazu dem US-Militär gegen Lizenz-Gebühren abgetreten zu haben.
Wie es dennoch zur Produktion von VX-Waffen kommen konnte, erklärte der damalige Unternehmenssprecher Jürgen von Einem mit einem Ausnahme-Passus im US-amerikanischen Patent-Recht. Wenn ein übergeordnetes Interesse bestehe, erlaube es den zwangsweisen Zugriff auf das geistige Eigentum Dritter, ohne diese zu informieren und zu entschädigen. Ob dies der Realität entspricht oder ob es eine formale Zusammenarbeit der US-Armee mit BAYER gab, ist bis heute unklar.
Agent Orange
Auch an der Herstellung des im Vietnam-Kriegs eingesetzten Entlaubungsmittels Agent Orange war BAYER beteiligt. Die Produktion des Giftstoffs erfolgte unter anderem bei der gemeinsamen BAYER/MONSANTO-Tochterfirma MoBay. Der genaue Lieferumfang von MoBay liegt jedoch im Dunkeln.
Agent Orange besteht aus den Wirkstoffen 2,4-D und 2,4,5-D, die herstellungsbedingt auch Dioxin enthielten. BAYER produzierte in der fraglichen Zeit jährlich 700 bis 800 Tonnen 2,4,5-D und verkaufte einen Teil der Produktion an die französische Firma PRODIL. Diese wiederum verarbeitete die Chemikalie weiter und lieferte sie nach Vietnam. Ein Akten-Notiz der der Boehringer AG, die ebenfalls mit PRODIL Geschäfte machte, belegt dies: „BAYER und PRODIL haben auf dem 2,4,5-D-Sektor seit Jahren (Vietnam) zusammengearbeitet“.
Das 2,4,5-D, von dem das Pentagon 1967 und 1968 in den USA alle Bestände aufkaufte, fand zusätzlich noch im Reinzustand Verwendung. AGENT GREEN lautete seine Bezeichnung. Der für eine Organisation AGENT ORANGE-geschädigter Vietnam-Veteranen arbeitende Martin H. Kroll nennt in seiner Aufstellung der 58 im Krieg eingesetzten Chemikalien unter AGENT GREEN deshalb auch BAYER als Hersteller.
Experten von BAYER und HOECHST standen der US-Army aber auch direkt vor Ort mit Rat und Tat zur Seite, wie Seymour M. Hersh in seinem Buch „Chemical and Biological Warfare“ mit Berufung auf einen Artikel der Eastern World schreibt. Als medizinische Helfer getarnt, arbeiteten sie dem US-amerikanischen Planungsbüro für B- und C-Waffeneinsätze in Saigon zu.
Die transatlantische Kooperation konnte sich dabei auf alte Verbindungen stützen: Die Abstimmung zwischen den US-amerikanischen und bundesdeutschen Chemie-Firmen übernahm die ehemalige IG FARBEN-Tochter GENERAL ANILINE AND FILM CORPORATION. Der Zeitung zufolge stellte BAYER überdies in Spanien und Südafrika selbst chemische Kampfstoffe her – die autoritären Regierungsformen beider Länder dürften bei der Standort-Wahl für ein so heikles Unternehmen wohl eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben.
Kriege in Nahost
Der Irak bekämpfte 1987/88 aufständische Kurden mit Tabun, Sarin und S-Lost. Dieselben Substanzen verwendete das Land im Krieg gegen den Iran als Waffen.
Der Iran seinerseits begann in den achtziger Jahren mit Planungen zu einem großen Chemie-Komplex mit angeschlossener Pestizid-Produktion nahe der Stadt Ghaswin – an das Anwendungsgebiet „Landwirtschaft“ haben die Politiker in den Kriegszeiten kaum vorrangig gedacht. 1984 verkaufte BAYER dem Iran Lizenzen zur Fertigung von Azinphos-Methyl und Fenitrothion, einer chemiewaffen-fähigen Substanz aus der berühmt-berüchtigten Gruppe der Phosphorsäureester.
Die Aufsichtbehörden genehmigten den Deal, rieten dem Konzern aber von weiteren Geschäften im Zusammenhang mit Ghaswin ab. Der Leverkusener Chemie-Multi hielt sich nicht daran. Ab 1987 lieferte er eine Anlage zur Pestizid-Produktion in den Iran. Für alle Bauten konnte der für die technische Koordination in Ghaswin zuständige LURCHI-Konzern Genehmigungen vorlegen, nur für die BAYER-Fabrik nicht – aus gutem Grund. „‚Das Endprodukt‘ könnte ‚auch zur Bekämpfung von Warmblütern‘ eingesetzt werden und ‚damit als Kampfgas dienen‘“, zitierte der SPIEGEL aus einem Schreiben der Kölner Oberfinanz-Direktion.
Die Behörden leiteten aus diesem Grund Ermittlungen ein. Ende 1989 führten Fahnder Razzien in den Dormagener, Leverkusener und Monheimer BAYER-Niederlassungen durch und stellten drei Dutzend Ordner mit Konstruktionsplänen sicher. Der Staatsanwalt stellte das Verfahren später ein – wie so viele mit BAYER auf der Anklagebank.
Agent Orange
hat auch noch in Friedenszeiten sein Gift verbreitet

Eine neue Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Environmental Research zeigt, dass die Angehörigen der US Air Force, die
damals Agent Orange versprühten, höheren Dosen der giftigen Chemikalie ausgesetzt waren, als bisher angenommen (oder zugegeben) wurde. Viele der
Flugzeuge, die das Gift versprühten, wurden nach dem Krieg zwischen1971 und 1982 weiter als Transporter eingesetzt. Viele Jahre später
durchgeführte Tests zeigten, dass die Flugzeuge noch immer gefährlich hohe Dosen des Pflanzenvernichtungsmittels aufwiesen. Die Ergebnisse
der Studie zeigen, dass die Werte in den Flugzeugen selbst nach den Kriterien der Luftwaffe der USA und des US-Amtes für Kriegsveteranen inakzeptabel sind. (Bild: Motherboard).
"Es muss endlich Gerechtigkeit für diese Opfer geben"

Seit über 40 Jahren setzt sich die vietnamesische Ärztin Dr. Nguyen Thi Ngoc Phuong unermüdlich für die Opfer der Agent Orange-Sprühaktionen ein. Dieses Jahr wird sie 70 Jahre alt. Sie berichtete in der ganzen Welt über die Leiden der Agent Orange-Opfer. Sie ist die Frau, die die USA aufforderte, klar erkennbare Hilfe für die Opfer zu leisten.“ schrieb VIETNAMNET Bridge.
Schockiert und traurig
1968 bemerkte sie als junge Geburtshelferin in Ho Chi Minh Stadt seltsame Veränderungen bei Neugeborenen. "Es
war schrecklich“ erinnert sich Frau Dr. Phuong an diese Zeit im Tu Du Krankenhaus. "Jeden Tag hatten wir zwei, drei oder gar vier Fälle von Kindern
mit Missbildungen. Kinder ohne Augen, ohne Nase und Kinder mit einer Kiefer-Gaumen-Spalte.”
Sie war darüber zutiefst schockiert und traurig. Es dauerte aber bis 1975 und bis zum Ende des Krieges in Vietnam bis sie erkannte, dass zwischen den Missbildungen und dem Krieg ein enger
Zusammenhang bestand.
Sie beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen und machte sie zu Ihrer Lebensaufgabe. Sie fand heraus, dass der Prozentsatz der Missbildungen und anderen Gesundheitsschäden bei Neugeborenen von
Eltern, die mit Agent Orange besprüht worden waren, viel höher war, als von Eltern, die nie mit diesem Gift in Berührung kamen.
Nguyen Thi Ngoc Phuong entdeckte in der Muttermilch von besprühten Müttern ein extrem hoher
Dioxinanteil. Um ihre Vermutung vom Zusammenhang der Geburtsfehler und Agent Orange zu untermauern, führte sie 1982 eine Studie in tausend Familien in der Provinz Ben Tre, sowie weiteren Städten
und Landkreisen im Mekong-Delta durch. Die Untersuchung ergab, dass die Missbildungsrate Neugeborener in den mit Agent Orange besprühten Gebieten etwa. drei bis viermal so hoch war, wie in den
nicht besprühten Regionen.
Keine Ruhe auch im Ruhestand
Obwohl Frau Dr. Phuong heute schon lange im Ruhestand ist, findet man sie noch fast jeden Tag im Tu Du-Krankenhaus. Sie bildet
Krankenschwestern aus. Ausserdem kümmert sie sich um ihr "Netzwerk Geburtshilfe“ um fachgerechte und gute Geburtsmethoden in den ländlichen Gebieten Vietnams zu verbreiten.
Das Wissen von Frau Dr. Phuong über Agent Orange und Dioxin nutzen selbst amerikanische Veteranen, die in Vietnam waren. Viele Amerikaner kamen in die Tu Du Klinik und stellten mir ihre Fragen zu
Geburtsfehler und Krebserkrankungen, die mit giftigen Chemikalien zusammenhängen, welche über Südvietnam versprüht wurden“ erinnert sich Frau Phuong
Neben zahlreichen Funktionen in medizinischen Fachinstitutionen in Vietnam ist Frau Dr. Phuong Mitglied der US-Vietnam Dialogue Group und
Vizepräsidentin der Vereinigung der Opfer von Agent Orange VAVA. In dieser Funktion erreichte sie es unter anderem, dass 2008 und 2010 das Repräsentantenhaus der USA Hearings durchführte mit dem Titel “Unsere vergessene Verantwortung. Was können wir tun, um Agent Orange Opfern zu helfen”. In einem der Hearings erklärte Frau Phuong: "Patienten die an Krebs und anderen Krankheiten leiden, die durch Agent Orange verursacht wurden, sterben Tag für Tag. Und Tag für Tag kommen weitere behinderte Babys zu Welt. Es muss endlich Gerechtigkeit für diese Opfer geben. Es muss Entschädigungen geben für das Leiden, das sie erdulden müssen“.
(Übersetzung aus dem Englischen von Stefan Kühner)
Quelle 1
Foto Vietnamnet
Dioxin-Reinigungsaktion in Da Nang
In der Region der zentralvietnamesischen Stadt Da Nang leben laut der örtlichen Opfervereinigung DAVA gegen 5000 Menschen, die an den Folgen des Agent Orange-Gifteinsatzes leiden. Darunter Kinder in der 3. Generation mit schwersten Behinderungen. Da Nang war der Hauptumlade- und Lagerplatz des dioxinhaltigen Entlaubungsmittels Agent Orange. Die Haupttäter von damals, die USA, sind jetzt während 4 Jahren daran, das Areal des ehemaligen Militärflughafens von Dioxin zu säubern. Dioxin gilt als eine der giftigsten Substanzen überhaupt und wurde im letzten Vietnamkrieg von den USA und ihren Verbündeten als Entlaubungsmittel versprüht, um dem Feind die Deckung in den Wäldern zu verübeln.
Insgesamt werden in diesem riesigen Betonbunker 75 000 Kubikmeter Erde auf 335 Grad erhitzt und so das Gift unschädlich gemacht. Allerdings ist die Aktion nur ein Tropfen auf einen heissen Stein. Bis heute haben sich die USA laut der Opfervereinigung DAVA kaum Relevantes für die vietnamesischen Agent Orange-Betroffenen getan.
Unser Besuch (9. Dez. 2013) wurde strengstens überwacht, Interviews durften wir keine aufnehmen. Die Manager der US-Firma, die das Projekt betreibt, verhielten sich in ihrem Gastland, so als ob ihnen das Territorium gehören würde. Unsere vietnamesischen Freunde haben sich nur noch gewundert. (Foto Peter Jaeggi).
Die Sanierung in Da Nang wurde im November 2018 offiziell als beendet erklärt.